Montag, 25. Juli 2011

Norwegens Nationalismus als Folge der Globalisierung


Was gehört zu dieser Weltsicht?

Erstens die Ansicht, dass unsere westliche Zivilisation und die norwegische Kultur durch Immigranten generell und durch Muslime speziell bedroht sind. Zweitens, dass es eine Verschwörung von Muslimen gibt mit dem Ziel, das Land in ihre Gewalt zu bringen. Und drittens, dass die norwegische Elite aus lauter Verrätern besteht. Und wer ist die Elite? Natürlich die machthabende Partei. Darum galt der Angriff wohl den Ministerien und dem Jugendlager der Arbeiterpartei. Wohlgemerkt: Über die Tat an sich ist jeder Norweger schockiert, doch seine Weltsicht teilen trotzdem viele.

Woher kommt diese Weltsicht?

In Norwegen hat sich die Zahl der Einwohner mit Migrationshintergrund in den letzten 15 Jahren gut verdoppelt auf heute rund 10 Prozent. Der Grund ist, dass Norwegen reich ist, sehr reich. Früher war die Schweiz das reichste und teuerste Land der Welt, dank dem Öl ist es heute Norwegen.

Das macht Norwegen für Migranten sehr attraktiv.

Ja, viele Polen, Rumänen, Pakistaner und sogar etwa 100 000 Schweden leben und arbeiten inzwischen in Norwegen. Das provoziert Ressentiments bei Teilen der alteingesessenen Bevölkerung, vor allem bei solchen, die sozial benachteiligt sind. Es sind Leute, die selber vielleicht keinen Job haben, während ihr ausländischer Nachbar erfolgreich ist. Diese Immigration hat auch einen neuen Nationalismus hervorgerufen.

Inwiefern ist er neu?

Weil sich die neuen Nationalisten nicht mehr als rechtsgerichtet sehen wie frühere Nationalisten. Die neuen Nationalisten verstehen sich als Verteidiger liberaler und demokratischer Werte. Und sie glauben, dass der Islam mit diesen Werten nicht kompatibel ist. Diese Leute sehen sich als kulturell Konservative, doch das sind sie nicht.

Was sind sie dann?

Sie sind kulturelle Reaktionäre. Sie wollen eine Gesellschaft, die nicht mehr existiert und in einer globalisierten Welt auch nicht mehr existieren kann. Wenn Norwegen seine Grenzen schliessen würde, wie diese Leute das wünschen, würden wir zu einem Nordkorea. Die globalisierte Welt ist eine Tatsache. Wer das nicht akzeptiert, muss sich ein anderes Jahrhundert suchen, um darin zu leben.



Thomas Hylland Eriksen, Sozialanthropologe an der Universität Oslo, publiziert zu Themen wie Ethnizität, Kultur und Identität, Nationalismus und Globalisierung im Interview von Markus Häfliger in der NZZaS vom 25.07.2011, Seite 4.



  • Von linken Beobachtern (wie dem oben zitierten Grünen) wird wie selbstverständlich eine "soziale Beachteiligung" vorausgesetzt um zu einer solchen Weltsicht zu kommen. Könnte dies nicht unpassend arrogant sein?

  • Kennt die Schweiz mit ihren feudablen Sozialleistung das "Honigtopf"-Phänomen nicht auch?

  • Muss "Globalisierung" denn grenzenlose Ungeregeltheit bedeuten z.B. auch betreffend Personenfreizügigkeit?

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