Mittwoch, 27. Juni 2012

Breivik ist zurechnungsfähig

Dass die Gerichtspsychiater zu derart unterschiedlichen Einschätzungen von Breiviks Zustand kommen, obwohl sie sich alle gleichermassen auf die Wissenschaft berufen, zeigt: Die Schuldfähigkeit eines Täters ist eine Frage, die weit ins Philosophische hineinreicht. Kann ein mental gesunder Mensch eine solche monströse Tat überhaupt planen und durchführen? Ist Breivik angesichts seines Handelns nicht automatisch gestört und Besitzer eines kranken Gehirns? Ihn als schuldfähig zu bezeichnen, bedeutet, dass man an das Konzept des freien Willens glaubt. Tieren und kleinen Kindern spricht man einen solchen freien Willen ab. Sie handeln instinktiv und sind darum für ihr Tun nicht verantwortlich. Doch ist es bei erwachsenen Menschen wirklich anders? Können sie sich aus freien Stücken dafür entscheiden, kriminelle Handlungen zu begehen oder darauf zu verzichten?

Doch so interessant wissenschaftliche oder philosophische Diskussionen über die Existenz eines freien Willens sind: In der Justiz führen sie nicht weiter. Spricht man dem Menschen die Freiheit ab, selber entscheiden zu können, führt dies in die totale Verantwortungslosigkeit. «Das war mein Gehirn, nicht ich», könnte jeder behaupten, der eine Straftat oder ein Verbrechen begangen hat.

Anders Breivik nun für unzurechnungs­fähig zu erklären, sein Handeln durch psychische Krankheit und ihn in die (geschlossene) Therapie statt ins Gefängnis zu schicken, mag eine verlockende Option sein. Wer würde nicht Breiviks Weltbild als Wahn bezeichnen? Doch wenn Breivik nicht schuldfähig ist, wer soll es dann sein? Der Mann weiss, was er will, hat ­fadengerade gehandelt, ist nicht verwirrt und hört auch keine Stimmen.

Alex Reichmuth in der WeWo25.12, Seite 14.

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