Samstag, 16. Oktober 2010

wirre, realitätsfremde Linke

Inzwischen wissen auch Linke, dass sie mit den Ideen des Sozialismus nicht mehr punkten können. Deshalb haben sie ihre Rhetorik den neuen Gegebenheiten angepasst. Geblieben ist die Vorliebe, in erster Linie über Werte und Ideen zu diskutieren. Die Probleme, die sich für Wirtschaft und Gesellschaft bei der Umsetzung der propagierten Ideen ergeben, werden ausgeklammert. Politiker und Medienschaffende lieben solche von der Realität losgelösten Wertediskussionen. Mit wenig intellektuellem Aufwand kann man sich als Anhänger neuer, sozialer und gerechter Gesellschaftsmodelle profilieren. Gleichzeitig können die Zweifler mit einem Verweis auf die übergeordnete Stellung der Werte und Ideen als unsozial diskreditiert werden.
Kurt Schiltknecht in der WeWo 40.10, Seite 22.

AHV: mehr Umverteilung als Versicherung

Es geht bei der AHV fast nur noch um Umverteilung, gestern vor allem zwischen den Generationen von Jung zu Alt und heute vor allem von Besserverdienenden zu Schlechterverdienenden. Die AHV ist technisch ein Steuer-Transfer-Umverteilungs-Mechanismus geworden. Die Bezeichnung Versicherung dient nur noch der Verschleierung.
Silvio Borner in der WeWo39.10, Seite 23.

risikogerechte ALV

Bezüglich der unterschiedlichen Risiken war die ALV jedoch von Anfang an nicht versicherungstechnisch ausgerichtet. Branchen wie etwa das Gastgewerbe oder die Bauwirtschaft verursachen «Schäden», die zwei- bis dreimal so hoch sind wie die Prämien, die bezahlt werden.

Fussballtrainer haben ein höheres Entlassungsrisiko als Professoren. Beide zahlen aber denselben Prozentsatz. Dies führt zu einer Subventionierung von instabilen Branchen, die volkswirtschaftlich unerwünscht sind.
Silvio Borner in der WeWo39.10, Seite 23.

Trunkenheitsstadien

0,2 bis 0,5 Promille
Nachlassen der Aufmerksamkeit und des Reaktionsvermögens. Seh- und Hörvermögen leicht vermindert. Kritik- und Urteilsfähigkeit sinken, höhere Risikobereitschaft.

ab 0,5 Promille
Probleme bei Nachtsichtigkeit und mit der Konzentrationsfähigkeit. Erste Gleichgewichtsstörungen, deutlich längere Reaktionszeit. Selbstüberschätzung nimmt zu.

ab 0,8 Promille
Räumliches Sehen ist beeinträchtigt, Blick verengt. Gleichgewichtsstörungen. Stark verlängerte Reaktionszeit. Selbstüberschätzung, Euphorie und zunehmende Enthemmung.

1 bis 2 Promille (Rauschstadium)
Verwirrtheit, Sprech- und Orientierungsstörungen, starke Gleichgewichtsstörungen. Lange Reaktionszeiten. Übersteigerte Selbsteinschätzung und Verlust der Kritikfähigkeit.

2 bis 3 Promille (Betäubungsstadium)
Ausgeprägte Gleichgewichtsstörungen. Reaktionsvermögen kaum mehr vorhanden. Gedächtnis- und Bewusstseinsstörungen, Verwirrtheit. Muskelerschlaffung und Erbrechen.

3 bis 5 Promille (Lähmungsstadium)
Ab 3 Promille: Bewusstlosigkeit, schwache Atmung, keine Reflexe. Ab 4 Promille: Lähmungen, Koma, unkontrollierte Ausscheidungen, Atemstillstand und Tod.

Vera Sohmer im Beobachter 24/09

Alkoholsucht

Für Fragen der psychischen Abhängigkeit ist die konsumierte Alkoholmenge unwichtig. Das massgebliche Kriterium hierfür: Genusstrinken oder eben nicht.
Alkohol geniessen bedeutet, bewusst zu riechen und zu schmecken.
Monique Helfer von der Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme.

Der Geniesser trinkt nicht wegen der stimmungs- und verhaltensverändernden Wirkung des Alkohols.
Gerhard Wiesbeck, Suchtmediziner an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel.

Viele Trinker bezeichnen sich als Genusstrinker. Sie spielen aber nur Versteckis.
Urs Ambauen vom Blauen Kreuz Zürich

Typisch beim Übergang zur Abhängigkeit sind das zunehmende Bagatellisieren und Verheimlichen des Trinkens. Oder wenn man sich zu rechtfertigen beginnt. Oder wenn man einen immer stärker werdenden Druck zum Trinken verspürt.
Heike Schwemmer von der Forel-Klinik, einer Fachklinik für Alkoholabhängige in Ellikon ZH

Den Ärger runterspülen, Schüchternheit überwinden, Stress abbauen, Langeweile überbrücken, Trauer erträglicher machen (...) Besonders anfällig sei man bei Lebensübergängen: vom Kind zum Erwachsenen, Berufseinstieg, Kinder bekommen, Midlife-Crisis, Pensionierung. Aber auch bei Brüchen wie Scheidung, Tod, Arbeitslosigkeit oder Krankheit
Urs Ambauen

Viele gestehen sich ihr Problem erst ein, wenn eine Reihe sozialer Probleme auftreten: Partnerschaftskonflikte, Arbeitslosigkeit, Fahrausweisverlust.

Wo beginnt die Sucht?

An der Grenze zur Abhängigkeit
  • Man denkt häufig an Alkohol: Sind genügend Vorräte vorhanden?
  • Schuldgefühle wegen des Alkoholkonsums.
  • Man vermeidet Anspielungen auf den Alkoholkonsum.
  • Heimliches Trinken, «vorsorgliches» Trinken.
  • Gieriges Trinken der ersten Gläser.

Psychische Abhängigkeit
  • Starker Wunsch oder eine Art Zwang, Alkohol zu konsumieren.
  • Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich Beginn, Beendigung und Menge des Konsums.
  • Eingeengte Verhaltensmuster: Trinken beeinflusst den Tagesablauf.
  • Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen und Interessen zugunsten des Trinkens.
Vera Sohmer im Beobachter 24/09

Währungskrieg in einer interdepenten Welt

Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem.
John Connolly, amerikanischer Finanzminister vor besorgten europäischen Finanzministern, in den 70ern.

China und USA: In Anspielung auf die Zeit des Kalten Krieges: "mutual assured destruction" (MAD), die gegenseitig gesicherte Vernichtungsfähigkeit der beiden grossen Akteure im Weltfinanzsystem.
Lawrence Summers

Nein, ein Währungskrieg ist dies nicht, keni epischer Kampf um den tiefsten Wechselkurs. Dazu fehlt das Motiv. Man will der Gegenseite ja nicht schaden oder diese gar niederringen, das wäre selbstzerstörerisch. Denn in der hochgradig interdependenten Weltwirtschaft sind alle Partner, nicht Gegner.
Dieter Ruloff in der NZZaS vom 10.10.2010, Seite 19.

Sonntag, 10. Oktober 2010

Momente der reinen Seligkeit

Es gibt immer wieder Augenblicke, wo ich an die Geborgenheit in beheizten Räumen denke, während draussen Schnee fällt, an den Kuss, der sich umso wärmer anfühlt, je kälter die Luft ist, an das klare Licht von Herbst und Winter, und dann denke ich, diese Jahreszeiten sind eigentlich auch ganz schön. Und dann wird es einmal mehr Sommer, und ich merke, dass das grosser Quatsch ist. Es gibt nur diese eine Jahreszeit. Die richtig ist. Die glücklich macht. Die alles gut macht.
Die Momente, in denen ich das verstehe, sind solche, an die ich mich erinnern werde, wenn mir dereinst jemand in irgendeinem mentalen Training sagen wird, ich solle mir ein Bild der reinen Seligkeit vergegenwärtigen. Es sind Momente, in denen die Hitze des Tages langsam abklingt, das Licht nicht mehr weiss gleisst, sondern gelb und sanft wird und die ersten Bierflaschen aneinanderklirren. In diesen Momenten ist viel Wasser, Fluss- oder Seewasser, und Badebekleidung. Die Haut ist trocken und sauber, oberflächlich kühl nach dem letzten Bad, der Schweiss und das Büro und die fettige Sonnencreme sind abgewaschen. Da sind nicht mehr: alle, die weg mussten, die Kinder heimbringen; abholen; zu einem wichtigen Abendtermin; eine Serie schauen. Es ist gut so. Da sind: Freunde, gern auch Bekannte, aber sogar Fremde sind einem nah in diesen Momenten. Der Sommer kann das.
Menschen sehen schön aus in diesem Licht. Es verfängt sich in den Haaren der Frauen, es gibt keine Frisuren mehr, nur noch Haare, was sie halt sind. Augenfarben verändern sich, vielleicht sieht man sie auch zum ersten Mal. Dieses Licht zeichnet die Kantigkeit der Männer weich. Das Gegenteil von dem passiert, was weibliche Journalistinnen aus Unzufriedenheit mit sich selber während dieser Zeit so verzweifelt postulieren — Schlankheit sei nun ein für alle Mal out, Rundungen und Weiblichkeit in: In diesen Momenten gibt es keine Diktate mehr, keine Evaluation, nur noch Körper, Männer und Frauen, was sie halt sind. Alle Wangen leicht gerötet, vielleicht wegen zu viel Sonne, wahrscheinlich wegen der Seligkeit. Verliebte haben rote Wangen. Vielleicht fühlt man sich selber verliebt, nur weil die anderen verliebt aussehen. Der Sommer kann das.
Es gibt nichts zu tun an solchen Frühabenden, als wie ein Kaltblüter dazuliegen und alles aufzusaugen, was man braucht. Die Zeit schmilzt. Nichts ist mehr wichtig, ausser genau dort zu sein. Man wird zurückversetzt in die Kindheit, in die schiere Freude am Sommer. Sommer hiess zwar vor allen Dingen grosse Ferien damals, denn Jahreszeiten sind Kindern egal. Aber er bedeutete schon damals genau dasselbe wie heute: der Ausblick auf zurechtgebogene Regeln, auf länger Aufbleiben, auf draussen sein mit Freunden, auf Quatsch machen, Spass haben. Sommer ist der Ausnahmezustand, der eigentlich Normalfall sein sollte. Wir legen uns auf den Boden, in allen anderen Jahreszeiten eine unvorstellbare Sache. Wir denken nicht mehr so sehr an die Zukunft, es geht nur noch um die endliche Unendlichkeit dieser Monate, im Hinterkopf die Erfahrung und Shakespeare: Denn kurz nur währt des Sommers Herrlichkeit. Wir werden wieder zu Menschen in dieser magischen Zeit. Nur der Sommer kann das.

Michèle Roten im Tagi-Magi vom 24.7.10