Freitag, 6. Juli 2012

Fluglärmstreit mit Deutschland

Ginge es um gutnachbarliche Beziehungen, Vernunft und Gerechtigkeit, wäre die ­Lösung simpel: 16 Prozent der Passagiere des Zürcher Flughafens sind Deutsche, also haben die Deutschen 16 Prozent des Fluglärms zu ­tragen. Würde so gerechnet, gäbe es kein Pro­blem. Gemäss den 2009 von beiden Ländern gemeinsam erhobenen offiziellen Messungen sind tagsüber im Durchschnitt 490 547 Schweizer und gerade mal 24 292 Deutsche von mehr als 45 Dezibel Anflug- und Abfluglärm betroffen. Die Deutschen tragen also nicht einmal 5 Prozent des Lärms. Setzt man die Marke auf 54 Dezibel, gibt es in der Schweiz 86 066 Betroffene und in Deutschland keinen einzigen. 
Gerade der Streit um den vermeintlichen Fluglärm zeigt, dass es auch in Europa zwischen Nationen keine Freundschaft gibt, sondern nur Interessen, um die gefeilscht wird.

Ginge es den Deutschen wirklich um den Lärm, würden sie eine Begrenzung des Lärms verlangen. Stattdessen beharren sie auf maximal 80 000 Flugbewegungen pro Jahr. Man kann das durchaus als (weiteren) Angriff auf den Wirtschaftsstandort Schweiz verstehen.

Die Deutschen haben alles erhalten, was sie wollten, für die Schweiz kommt der Vertrag einer Kapitulation nahe. Im naiven Glauben an die gutnachbarschaftliche Freundschaft hatte die Landesregierung ihre ­Trümpfe entweder längst verschleudert oder gar nicht erst ins Spiel gebracht.

Alex Baur in der WeWo27.12, Seite 10.

Donnerstag, 5. Juli 2012

Die EU und das Deutschland der 30er-Jahre

Als Ende der 1920er Jahre eine Rezession aufkam und kurz darauf die Weltwirtschaft schrumpfte, geriet Deutschland in einen Teufelskreis. Um die Auslandsschulden zu bedienen, musste die Regierung einen Handelsbilanz­überschuss ­erzielen. Mit Sparprogrammen reduzierte sie die Nachfrage nach Importen, und durch das Senken der Löhne und Preise versuchte sie die Wettbewerbsfähigkeit der Exportindustrie zu verbessern. Gleichzeitig brauchte sie ein ausgeglichenes Budget, um das Ver­trauen in die Goldwährung zu bewahren. Dazu erhöhte sie mehrmals die Steuern. [Weiter führte die Regierung strenge Devisenkontrollen ein, stoppte die Schuldzinszahlungen und fror ausländische Guthaben ein.]
Deutschland war in den 1930er-Jahren an den Goldstandard gebunden, was den Manövrierraum ähnlich stark einschränkt wie heute der Euro. Die Folgen waren:
  • Bevölkerung ist demoralisiert
  • inländische Nachfrage brach zusammen
  • schleichender Vertrauensverlust
  • Bankensystem wurde weiter geschwächt
  • politische Radikalisierung
--> Banken-, Schulden- und Währungskrise

Vorschläge als alternative dieser "harten" Politik:

Die Beruhigung der Lage wird nur gelingen, wenn die Gläubiger mehr Verantwortung übernehmen und ihren Handlungsspielraum nutzen.
  1. müssen sie ­ihre Banken rekapitalisieren, notfalls über ­eine temporäre Verstaatlichung
  2. müssen sie Hand bieten zu weiteren Schuldenreduk­tionen in Irland und Südeuropa.
  3. Und damit die Währungsunion langfristig funktio­niert, müssen sie einen Teil der Fiskal- und Finanzpolitik zusammenlegen. Denn es gibt kein ­historisches Beispiel einer funktionierenden Währungsunion ohne Fiskalunion.
Tobias Straumann in der WeWo25.12, Seite 47.