Die neugriechische Gesellschaft ist wie ihre Nachbarn auf dem Balkan im Wesentlichen aus Strukturen des Osmanischen Reiches hervorgegangen. Das verbreitete Misstrauen der Gesellschaft gegenüber dem Staat, die Hemmung staatlicher Einrichtungen durch Klientelismus und Korruption, die Bedeutung persönlicher Beziehungen bei der Wahrnehmung sozialer Interessen, eine nicht gleichmässig akzeptierte Übernahme europäischer Normsysteme (Verfassung, Recht), einen geringe Konsensfähigkeit im politischen Leben, eine gewisse Skepsis gegenüber der Marktwirtschaft, die bisweilen verbunden ist mit kollektivistisch ausgerichteten Gesellschaftsidealen – all dies findet sich in den Staaten der Region, in Teilelementen notabene aber auch ausserhalb derselben, etwa in Süditalien.
Mit Bezug auf die Kontinuität zum antiken Hellas [die Wiege europäischer Kultur und Demokratie] entwickelte die griechische Elite eine ausgeprägte Überlegenheitshaltung gegenüber den slawischen, albanischen und türkischen Nachbarn. (…) Griechenland wurde als Mittelmeerland, als Teil des Westens, nicht des Balkans empfunden. (…) Griechenland verlangt Anerkennung und auch Sympathie für seine Stellung als Mutterland der europäischen Kultur. (…) Schon viele Philhellenen des 19. Jahrhunderts reagierten verbittert, als sie in Griechenland keinen antiken Hellenen, sondern einer orthodoxen, postosmanischen Gessellschaft griechischer, albanischer und aromunischer Sprache begegneten.
Prof. Dr. Oliver Jens Schmitt, Universität Wien, in der NZZ 2010 oder 2011.
Sonntag, 27. November 2011
Griechen sind mental Balkanesen
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