Samuel Huntington ist zu undifferenziert mit seiner These des "Kampfes der Kulturen".
Da wird einfach alles in einen Topf gemischt - Immigration, Terrorismus, Islamismus und die Situation in den muslimischen Ländern -, und schon sitzt der Mythos in den Köpfen.
Die Kulturen sind so unterschiedlich, weil sie sich auf
unterschiedlichen Entwicklungsstufen befinden. Doch auch die muslimische Welt wird modernisiert. Entscheidend dabei ist die
Alphabetisierung der Bevölkerung und der damit verbundene Rückgang der Geburtenrate.
Damit einher geht eine religiöse und ideologische Verunsicherung. Traditionelle Werte wie die Religion und Familienstrukturen werden von wachsenden Teilen der Bevölkerung in Zweifel gezogen - und von einer stets kleiner werdenden Minderheit umso fanatischer verteidigt. Fundamentalismus und Gewalt nehmen unvermeidlich zu. Der Terrorismus und die Umwälzungen in den islamischen Ländern sind Ausdruck der Krisen im Übergang in die Moderne.
Der Zugang zu Bildung lässt
Reformbewegungen gedeihen. Unterschiedliche Ausprägungen innerhalb des Islams, wie z.B. das Schiitentum lassen
abweichende Interpretationen zu und lehnen sich gegen starre Dogmen auf.
Das Schiitentum beschleunigt den Modernisierungsprozess, während der konservative Sunnismus ihn bremst. In Europa war es doch ähnlich. Hier geht die Alphabetisierung der Bevölkerung auch auf den Protestantismus zurück. Er propagierte Lesen und Schreiben fürs Volk, als allein schon dies im Katholizismus noch als Ketzerei galt. Aber auch hier waren es Unterschiede innerhalb des Christentums, die die Modernisierung einleiteten - nicht das Christentum als Ganzes.
Das Gemeinsame bei den Weltreligionen liegt darin, dass sie alle ihre soziale Bedeutung verlieren werden.
So wie Europa eine Entchristianisierung erlebt hat, so dürfte es in der muslimischen Welt zu einer Entislamisierung kommen.
Und diese Entwicklung geschieht immer schneller. Entscheidend dabei ist die Überwindung paternalistischer Familienstrukturen und die Rolle der Frau, wodurch die Bildung einen höheren Stellenwert bekommen soll.
Nicht die Ökonomie hat sich bisher als Motor der Geschichte erwiesen, sondern die Alphabetisierung.
Emmanuel Todd vom nationalen Institut für Demografie in Paris zu seinem Buch "Die unaufhaltsame Revolution. Wie die Werte der Moderne die islamische Welt verändern." im Interview mit Martin A. Senn in der NZZaS vom 20.4.08, Seite 24f.
2 Kommentare:
Alphabetisierung habe ich in Gespräche immer gepusht wie verrückt... Happy to have you on-board!
Man muss aber auch etwas hinzufügen: Alphabetisierung erlaubt erstens Denkunabhängigkeit sowie auch später progressiv wirtschaftliche Unabhängigkeit...
Cheers from Montreal,
P a.k.a. Dzi
Wie viel Zeit ist in (Mittel)Europa vergangen zwischen dem Mittelalter, der Aufklärung, und der "Emanzipazion" der Frauen? Der Westen mag diesen Prozess in der arabischen Welt einiges beschleunigen, aber auch dann ist der Artikel noch sehr langfristig betrachtend - aber einleuchtend. Vielen Dank für den Artikel.
PS: Muss ich Terrorist werden wenn ich gegen die Emanzipation der Frauen bin? Oder wieder religiös? ;-)
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