Montag, 7. März 2011

drogensüchtige Ärzte

Ab etwa der Hälfte des Studiums lernen die Studenten den Umgang mit Medikamenten und erhalten einen Ausweis, mit dem sie alle Medikamente ausser Betäubungsmittel problemlos und ohne Registrierung kaufen können. Und im Studium lernen sie auch, dass zum Beispiel drei Gläser Wein pro Tag gesund sind. Das geht später an Kongressen weiter, wo ähnlich viel getrunken wird wie im Militär. Und im Arztalltag, sind Medikamente/Drogen sowieso omnipräsent.

Wenn jemand viele Pillen nimmt, ist er in den Augen von Normalbürgern ein Süchtiger. Ärzte nennen das Behandlung. Sie neigen auch dazu, sich selbst zu behandeln. Pillen schlucken kann so zur Gewohnheit werden, der Gang zur Apotheke oder die Bestellung von Medikamenten ist für Ärzte ohnehin Routine. Und sie kriegen sogar Medikamenten-Müsterchen.

Oft ist es ein Teufelskreis, der ganz harmlos beginnen kann: Ein Arzt hat Schlafstörungen, geht in die Apotheke und kauft ein «kleines Helferlein». Hat er dazu noch Eheprobleme, nimmt er am Tag Antidepressiva. Wenn dieses nicht mehr ausreicht, greift er zu Beruhigungspillen. Oft werden die Medikamente mit Alkohol kombiniert. So beruhigt sich der Arzt am Abend. Und um am Morgen trotz Kater wieder fit zu werden, nimmt er weitere Pillen. Das ergibt beispielsweise den Kreislauf: Morgens Ritalin, Mittags Antidepressiva, am Abend Alkohol und Valium. Lange geht das gut, doch irgendwann bricht die Sucht aus wie ein Vulkan.

Menschliches Versagen und der grosse Druck führen zu weitaus mehr Fehlern, als Drogen. Wir müssen uns aber nichts vormachen: Es besteht eine Gefahr, wenn ein süchtiger Arzt beispielsweise starke Konzentrationsstörungen hat. Diese kann er aber auch wegen einer Depression haben. Man kann auch fragen: Wollen Sie sich lieber von einem Arzt behandeln lassen, der keine Pillen nimmt und bei dem die Gedanken ständig um seine Probleme kreisen oder von einem, der deswegen Medikamente schluckt? Mit Valium hat ein Chirurg vielleicht sogar eine ruhigere Hand. Und mit Ritalin kann er sich möglicherweise besser konzentrieren. Das soll aber kein Aufruf an die Ärzte sein, dass sie nun Drogen nehmen sollen.

Wie bei allen Süchtigen gilt: Abstinenz ist nicht in jedem Fall oberstes Ziel. Das ist überholt, die Behandlungsziele werden individuell erarbeitet. Wichtig ist, dass der Süchtige seinen Konsum unter Kontrolle bekommt, so dass der moderate Konsum keine Auswirkungen auf die Arbeit hat.

Andreas Moldovanyi, Leitender Arzt im stadtärztlichen Dienst Zürich und ärztlicher Leiter der Entzugsklinik Frankental und der Polikliniken Crossline und Lifeline der Stadt Zürich im Interview von Lorenz Hanselmann im 20min vom 7.3.11, Seite 8.

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