Ich habe ein Buch veröffentlicht, in dem ich aufzeige, wie die Zionisten unmittelbar vor und nach der Gründung Israels 1948 rund 60 Prozent der palästinensischen Bevölkerung vertrieben und deren Gesellschaft zerstört haben.
Wahr ist, dass bereits vor 1948 darüber nachgedacht wurde, alle Araber aus dem Land zu deportieren. Die Juden fürchteten, dass sie in Palästina weiterhin verfolgt werden könnten. Dann jedoch erwies sich der sichere Hafen Palästina als Illusion. Ben Gurion sagte: Es gibt für Juden nur Sicherheit, wenn man alle Araber aus dem Land bringt.
Manche Kritiker werfen Israels damaliger Führung eine ethnische Säuberung vor.
Dieser Ausdruck erscheint mir zu hart. Man sprach damals vom «transfer» der arabischen Bevölkerung. Bereits 1895 notierte Herzl, der Gründer der zionistischen Bewegung, in sein Tagebuch, man müsse die Araber wohl aus dem Gebiet eines künftigen Staates ausschaffen. 1937 sprach dann auch Ben Gurion am Zionistenkongress in Zürich vom «transfer» aller Araber aus dem Land. Und Chaim Weizmann wollte 1941 eine Million Araber aus Plästina in den Irak umsiedeln und dafür zwei Millionen jüdische Immigranten nach Palästina bringen.
In Israel leben 5,5 Millionen Juden. Gleichzeitig ist das Land von zirka 100 Millionen Arabern umgeben. Da ist es doch logisch, dass nicht wenige denken, die Juden würden längerfristig den Kürzeren ziehen. Sei es aus demografischen Gründen oder weil man eben irgendwann mal militärisch stärker sein wird.
Natürlich propagiert Mahmoud Abbas öffentlich eine Zweistaatenlösung. So lange er aber am Recht sämtlicher Flüchtlinge auf Rückkehr festhält, wird es diese Zweistaatenlösung nie geben. Und das weiss Abbas ganz genau. Deshalb spielt er dieses Doppelspiel. Abbas ist intelligent genug, um zu wissen, dass die Rückkehr der Flüchtlinge das Ende des Judenstaates bedeuten würde.
Wenn man sämtlichen palästinensischen Flüchtlingen die Rückkehr erlauben würde – und ich spreche hier von 4,5 bis 5 Millionen Menschen –, dann würde Israel sofort ein arabisches und kein jüdisches Land mehr sein. Israel wäre ein arabisches Land mit einer jüdischen Bevölkerungsminderheit.
Können Sie den Hass der Palästinenser auf Israel nicht verstehen?
Selbstverständlich kann ich das. Es ist natürlich, dass sie Israel hassen. Die Israeli haben sie damals enteignet, ihnen das Land weggenommen, das sie für ihres halten. Und die Israeli haben viele von ihnen getötet. Trotzdem glaube ich, dass dieser Hass nicht nur damit zu tun hat, wie Israel sich verhält.
Sie sprechen von muslimischem Antisemitismus?
Ich glaube, dass uns viele auch deshalb hassen, weil wir Juden sind. Die jüdischen Stämme waren die Feinde von Mohammed, weil sie ihn nicht als Propheten akzeptierten. Im Koran werden die Juden als Söhne von Affen und Schweinen beschrieben. Mittlerweile glaube ich, dass dieser muslimische Antisemitismus immer noch in der palästinensischen und arabischen Gesellschaft steckt.
...ohne den Staat Israel gäbe es im Nahen Osten weniger Probleme.
Diese Meinung ist für mich noch kein Antisemitismus, sondern ein rationales Argument gegen den Zionismus.
1200 vor Christus lebten Juden auf dem Gebiet des heutigen Palästina, damals hiess es noch Galiläa, Samaria und Judäa. Für 1300 Jahre herrschten die Juden über dieses Land. Dann kamen die Römer, die Juden mussten flüchten, und die Römer nannten das Land Palästina. Aber die Frage, wer zuerst da war, wird diesen Konflikt niemals lösen können. Ich halte es auch für eine irrelevante Frage.
Angesichts all dieses Elends: Was sagen Sie denen, welche immer noch daran zweifeln, ob die Gründung des jüdischen Staates eine Notwendigkeit war?
Ich sage: Die Juden wurden zweitausend Jahre lang unterdrückt, verfolgt und getötet. Der Holocaust war der Höhepunkt einer zweitausendjährigen Unterdrückungsgeschichte. Über Jahrhunderte hinweg gab es immer wieder Pogrome, und zwar überall in Europa. Sogar England, das Juden gegenüber liberalste Land, hat sie 1290 vertrieben. Irgendwann in der Geschichte hatte jedes Land Europas nicht nur ein paar Judenhasser, sondern einen dominierenden Antisemitismus. Die Juden sind ein Volk wie jedes andere auch und haben das Recht auf einen eigenen Staat wie jedes andere auch.
[Legitimiert das "ein-Volk-sein" wirklich den Anspruch auf einen Staat? Und wenn ja, welches Gebiet? Und warum dieses?]
Darf man von einer westlichen, aufgeklärten Demokratie wie Israel nicht erwarten, dass sie sich auch im Krieg moralischer verhält als die Islamisten der Hamas?
Natürlich. Allerdings würde ich mir wünschen, dass Israels Kritiker alle Konflikte an denselben moralischen Massstäben messen.
[Darf man von einer "modernen Demokratie" nicht etwas anderes erwarten als von unterentwickelten Fundamentalisten?]
In den letzten fünfzig Jahren sind viele zehntausend Menschen im Nahost-Konflikt gestorben.Wie kann man dieses Blutvergiessen beenden?
Auch wenn ich das nicht gern sage, ich glaube nicht mehr an eine Lösung.
Benny Morris im Interview mit Finn Canonica und Rico Czerwinski im TagiMagi 09-4
Samstag, 7. Februar 2009
Zionismus, Deportation, Krieg und Hass
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