Sonntag, 13. November 2011

Die EU vor dem Scheitern

Die Leute und die Journalisten merken, dass das mit der EU nicht mehr aufgeht. Griechenland wird seine ­Schulden nie zurückzahlen. An die Heilkraft der Rettungsschirme glaubt man nicht. Das Geld reicht schlicht nicht aus für alle ­Schuldenstaaten. Die angebettelten Chinesen halten sich zurück. Die Amerikaner belassen es bei Mahnungen. Die letzte Hoffnung ruht auf den Deutschen, sie möchten mit ihrer brummenden Exportwirtschaft die Schulden der andern begleichen. Es mutet skurril an, dass die Bundesrepublik mit ihren rund 2 Billionen Euro Schulden (ausstehende Renten nicht eingerechnet) in der EU weiterhin als hochsolider Staat betrachtet wird.

Die Hoffnung, man könne den Mittelmeerstaaten deutsche Haushaltdisziplin und Sparsamkeit verordnen, ist illusorisch. Griechenland alleine ging in den letzten zweihundert Jahren fünfmal bankrott. Die Griechen waren Pioniere der Demokratie – und des Konkurses.  

Wer zahlt, befiehlt: Das wäre im Grundsatz richtig. Aber glauben die Euro-Retter wirklich, dass es funktioniert, wenn das mächtige Deutschland in die Rolle der europäischen ­ Vor- und Disziplinarmacht hineinwächst? Es ­wurden zwei Weltkriege geführt, um eine deutsche Hegemonie zu verhindern. Stellen wir uns vor, wie der französische Finanz­mi­nister reagieren wird, wenn der ihm vor­gesetzte Berliner Kollege den französischen Staatshaushalt zurückweist und, sagen wir, die Einführung eines höheren Rentenalters und der 38-Stunden-Woche verlangt. Man wird die Deutschen solange willkommen ­heissen, wie sie mit ihren Milliarden die Schuldenlöcher stopfen. Aber niemand wünscht sich die Deutschen als Vormacht herbei, die sie aufgrund ihrer Finanzstärke eigentlich sein ­sollten. Bundeskanzlerin Merkel wird in griechischen Zeitungen bereits mit Hakenkreuz verunglimpft, weil man keine Einmischung in die eigenen finanziellen Angelegenheiten ­duldet. Europa ist kein Einheitsstaat, daran werden auch die Schuldenberge nichts ändern. Wer glaubt, die Griechen oder die Franzosen oder die Spanier wären wirklich bereit, ihre nationalstaatliche Souveränität in Haushalts­fragen abzugeben, weil ihre Eliten in Brüssel einen Vertrag unterzeichnen, lebt an den ­Realitäten vorbei.

Noch vor sechs Jahren war die Diskussion über die Fehlkonstruktion EU in Deutschland ein Tabu. Heute fordert die Bild-Zeitung angesichts der Milliardentransfers nach Griechenland das Recht auf Volksabstimmung für die Deutschen. 


Roger Köppel in der WeWo45.11, Seite 5.

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