Im Kern ist es eine isolierte, selbstgefällige und vor allem verkrustete Elite, die zum grössten Problem des Systems geworden ist.
Dabei haben in der EU-Hauptstadt Brüssel bereits 84 Prozent aller in Österreich oder Deutschland geltenden Gesetze ihren Ursprung. Mitten in der grossen Wirtschaftskrise wäre politische Handlungskraft, die sich auf Bürgervertrauen und Legitimation stützen kann, unverzichtbar. Stattdessen schlägt nur die Stunde der Räte, also der Treffen der nationalen Fachminister und Regierungschefs. Keine anderen politischen Gremien auf dem Kontinent verfügen über so viel Einfluss. Doch niemand sonst agiert so geheimnisvoll und bürgerfern.
Dreh- und Angelpunkt sind die beiden Arbeitsgruppen «Antici» und «Mertens». Ihre Teilnehmer und Sitzungstermine bleiben im Verborgenen. Protokoll wird keines geführt. Unterstützt werden die so verschwiegen tätigen Mitarbeiter dabei von Vorbereitungsgruppen, deren Anzahl intern auf 260 geschätzt wird. Sie arbeiten nach den gleichen Prinzipien wie die «Antici»- und «Mertens»-Gruppen, die nach ihren ersten Vorsitzenden in den siebziger Jahren benannt sind. Bei den allesamt vertraulichen Treffen kommt es bereits zu essenziellen Absprachen, die dann vom «Ausschuss der Ständigen Vertreter», den nationalen Botschaftern bei der EU, oft schon als Rechtsakte faktisch entschieden werden. Bis zu diesem Zeitpunkt hat noch kein Minister eines Mitgliedsstaats, geschweige denn ein gewählter Volksvertreter über den Text mitbestimmt. Alles wird in Beamtenkreisen verhandelt, die keinem Wähler gegenüber verantwortlich sind. Und die nationalen Parlamente winken nur noch als Gesetze durch, was ihnen von Brüssel aus vorgegeben wird.
Damit freilich ist die Demokratie in ihrem Herzen getroffen. Da bleibt keine Spur mehr von der «Regierung des Volkes, durch das Volk, für das Volk», wie US-Präsident Abraham Lincoln einst in seiner Gettysburger Rede die Volksherrschaft definierte. In der Europäischen Union herrscht die gelebte, oftmals anonyme Beamtenmacht, unverantwortlich und unkontrollierten Einflüsterern ausgesetzt, in enger Verflechtung mit der EU-Kommission und den Büros der nationalen Minister. In der Folge werden auch die regelmässigen Sitzungen der insgesamt neun Ministerräte zur Farce. Wenn die Ressortchefs überhaupt persönlich teilnehmen, sind sie vielfach schlecht informiert und segnen oft nur noch formal und in ganzen Blöcken ab, was ihnen die Beamten vorlegen. Das gilt für mehr als zwei Drittel der Tagesordnungspunkte.
Als inzwischen realistischer Träumer werde ich heute nicht mehr versuchen, die Schweizer zum EU-Beitritt zu überreden. Die EU muss zumindest demokratiepolitisch viel schweizerischer werden, ehe sich die Schweizer ihr weiter annähern sollten.
Hans-Peter Martin in der WW30.09, Seite 10f.
Freitag, 14. August 2009
begründete EU-Skepsis
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