Dienstag, 20. April 2010

«right or wrong, my Israel»

Stern: Kaum jemand in Amerika konnte sich bis vor Kurzem Kritik an Israel erlauben. (...) Im Ganzen kann man sagen, die amerikanischen Juden sind in der Mehrheit ziemlich vernünftig und gehören nicht zu denjenigen, die jegliche israelische Politik unterstützen. Aber die Minderheit ist so gut organisiert und so reich und so ideologisch fanatisiert, dass sie eben eine ganz große Rolle spielt. Das sind jüdische Gruppen (...) die sich aber besonders stark mit Israel identifizieren und glauben, dass jegliche Kritik unerlaubt ist. In Amerika ist es sehr viel schwieriger, kritisch über Israel zu reden, als in Israel. Die israelische Presse, die israelische Öffentlichkeit ist viel offener als mein Land, wo Kritik an Israel schnell als Antisemitismus gilt. Es ist noch schlimmer als in Deutschland, glaube ich.

Schmidt: Es ist in Deutschland auch ziemlich schlimm. Auch hier wagt kaum einer Kritik an Israel zu üben aus Angst vor dem Vorwurf des Antisemitismus.

Stern: Den größten Einfluss üben die Organisationen aus, die sich bei Wahlen einsetzen, AIPAC zum Beispiel – American Israel Public Affairs Committee. Die haben von Anfang an eine rechtsradikale Position eingenommen, sind auf den amerikanischen Populismus zugesteuert und haben eine enge Verbindung geschaffen zwischen rechts stehenden Amerikanern und Israel. Aber auch für Demokraten im Kongress ist es kaum möglich, sich in irgendeiner Weise kritisch gegenüber Israel zu äußern.

Schmidt: Sie sehen, wie heikel das Thema ist.

Stern: Und wie! Für das, was ich eben gesagt habe, würde ich in Amerika in manchen Kreisen als antisemitisch bezeichnet werden.

Schmidt: Vielleicht sollte man sich einmal darüber klar sein, dass es auf der Welt maximal fünfzehn Millionen Juden gibt, von denen leben gut fünf Millionen in Israel und wahrscheinlich fünf bis sechs Millionen in den Vereinigten Staaten von Amerika. Ich weiß es nicht. Macht zusammen elf. Und die restlichen vier verteilen sich über die ganze Welt – davon ein paar Hunderttausend in Deutschland, ein paar mehr in Frankreich, immer noch welche im Mittleren Osten, immer noch ein paar in Russland. Ein kleiner Staat, der durch seine Siedlungspolitik auf der Westbank und länger schon im Gaza-Streifen eine friedliche Lösung praktisch unmöglich macht. Deshalb haben die Israelis auch in Deutschland viele Sympathien verspielt.

Stern: Wann ist das umgeschlagen?

Schmidt: Die Sympathien waren am Anfang absolut überwältigend. Sie haben angehalten bis in die siebziger, achtziger Jahre. Ich glaube, es gibt da keinen präzisen Wendepunkt, irgendwann ist die Sympathie für Israel geschwunden –

Stern: Durch die Siedlungspolitik?

Schmidt: Wahrscheinlich, ja. Und durch die Beantwortung von Terror mit eigenem Terror.

Desweitern:
  • Schmidt lehnt Sterns Formulierung, dass Deutschland eine historisch bedingte Verantwortung gegenüber Israel habe aufgrund einer "unsympathischen Grossmannssucht" ab.
  • Er vermutet weiter eine genetische Disposition, welche totalitäre Radikalisierung begünstigt - und kann nicht ganz ausschliessen, dass diese in Deutschland gänzlich inexistent ist.
  • Hjalmar Schacht - Reichswirtschaftsminister unter Hitler - wäre heute ein Held der Wirtschaftsgeschichte. Keynesianismus in reinster Form. Arbeitslosigkeit eliminiert.
"Unser Jahrhundert" von Helmut Schmidt und Fritz Stern liegt im Verlag C.H. Beck vor - teilweise veröffentlicht auf Cicero.de

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