Donnerstag, 4. August 2011

Zensuswahlrecht könnte die Schweiz retten

Ist die Schweiz wirklich weniger vom Umverteilungsdenken infiziert?
Die Schweizer nehmen immer mehr Eingriffe des Staates in die privaten Vertragsverhältnisse und in das private Eigentum hin. ­Sicherheit wird wichtiger als Freiheit, öffent­liche Fürsorge wichtiger als Eigenverant­wortung, Umverteilung wichtiger als Eigenleistung. Die Sozialindustrie mit den gut bezahlten Beamten überbordet dermassen, dass sogar deren Abschaffung samt Ersatz durch ein bedingungsloses, lebenslängliches Grundeinkommen für alle Einwohner der Schweiz allen Ernstes als ökonomisch sinnvoll diskutiert wird.

Genau besehen ist Demokratie ein ausser­ordentlich labiles Modell. Volksherrschaft kann auch Herrschaft des Pöbels bedeuten, die Enteignung der Minderheit der Leistungs­wil­ligen und Besitzenden durch eine Mehrheit von Habe- und Taugenichtsen. Wenn die Staatsquote und mit ihr die Zahl der Transfer­empfänger unaufhaltsam wächst, wenn schweizerische Maturanden erst einmal Sozialhilfe beziehen, um sich vom Stress der gymnasialen Ausbildung zu erholen, so sind das Gefahrensignale.

Dass Mehrheitsherrschaft zu wachsender Ausbeutung der Minderheit führen kann, hatten schon die griechischen «Erfinder» der Demokratie erkannt. So ersann der Athener ­Solon als Gegengift das Zensuswahlrecht, also die Beschränkung des Wahlrechts auf Stimmbürger, welche gewisse Kriterien wie materiellen Besitz oder die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stand erfüllen. Selbst die Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika ­erkannten die Gefahren einer allgemeinen Demokratie für Freiheit und Privateigentum. Sie nahmen in die Verfassung von 1787 eine Bestimmung auf, wonach nur ­Männer mit Besitz wählen durften. Dahinter stand der Gedanke, dass, wer Eigentum hat, langfristiger denkt als derjenige, der von der öffentlichen Hand lebt. Von diesem Zensuswahlrecht verabschiedeten sich die Vereinigten Staaten erst 1830 im ­Rahmen der Abschaffung der Sklaverei und unter dem Einfluss von Anti­-Alkohol-, Frauen­rechts- und Gewerkschaftsbewegungen.

Das allgemeine Stimm- und Wahlrecht – «One man, one vote» — ist ein derartiges Tabu, dass die Schweizerische Bundesverfassung nur die unter Achtzehnjährigen sowie die Geisteskranken und Geistesschwachen davon ausschliesst. Wo es zum Führen eines Motorfahrzeuges und zum Halten eines Hundes einer Prüfung bedarf, während Kriminelle, Asozi­ale, Analphabeten und Sozialhilfebetrüger stimmen und wählen dürfen, wo jedermann ohne die geringsten staatsbürgerlichen Kenntnisse – das schweizerische Schulsystem hat heute andere Prioritäten – bei existenziellen Fragen dieses Landes mitbestimmen darf, wo ein pädosexueller Lehrer Berufsverbot erhält, ihm aber sein Stimm- und Wahlrecht nicht entzogen werden kann, dort stellt sich die ­Frage nach einer Beschränkung des Stimm- und Wahlrechtes natürlich nicht.

Bleibt die Hoffnung, dass die Vernünftigen, die politisch Reifen, die Verteidiger von Freiheit und Privateigentum in der Mehrheit bleiben. Mehr als diese Hoffnung bleibt uns nicht.

Christian Huber, 66, Dr. iur., war als Regierungsrat von 1999 bis 2005 Finanzdirektor des Kantons Zürich. Er lebt seit sechs Jahren abwechslungsweise in der Schweiz, in den Niederlanden und in Frankreich, in der WeWo29.11, Seite 36f.

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