Dienstag, 7. September 2010

Der grösste internationale Finanz- und Justizskandal

Schlusspunkt hinter Bankenvergleich
Holocaust-Vermögen: Zwölf Jahre dauerte es, um 1,25 Milliarden Dollar aus der Schweiz zu verteilen
Weil es an berechtigten Ansprüchen mangelte, mussten die Verteil-Kriterien mehrmals erweitert werden. Die Verteilung kostete 200 Millionen Dollar.

Zwölf Jahre nach dem Abschluss des Vergleichs zwischen Anwälten von Holoaust-Überlebenden und Schweizer Grossbanken über nachrichtenlose Konten aus der Nazizeit steht das Ende der Auszahlungen unmittelbar bevor. Dies geht aus einem Gutachten des an der New York University lehrenden Juraprofessors Burt Neuborne hervor. Dieser berät Richter Edward Korman, der die Aufsicht über den im August 1998 getroffenen Vergleich führt.

Laut Gutachten sind zwar och einige wenige Entscheidungen fällig. Aber Neuborne rechnet damit, dass auch danach von der Vergleichssumme von 1,25 Mrd. $ bis zu 180 Mio. verbleiben könnten. Er schlägt vor, 100 Mio. in Form nachträglicher Auszahlungen an die etwa 2900 Erben von Kontoinhabern zu verteilen, die bereits Entschädigungen erhalten haben. Dann noch verbleibende Mittel möchte er an „besonders bedürftige Holocaust-Überlebende“ ausschütten. Davon beansprucht die israelische Regierung den Löwenanteil. Der Bankenvergleich war durch eine Kombination von Boykottdrohungen, politischem Druck und anhaltend schlechter Presse der Schweizer Banken in den USA zustande gekommen.

Aber es waren die Sammelklagen in den USA, die schliesslich den Weg dazu bereitet haben. Auch die Verteilung der Vergleichssumme war in der am 21. Oktober 1996 eingereichten Gruppenklage vorgezeichnet die dann vor Richter Korman in New York verhandelt wurde. Die Klage hat fünf „Klassen“ von Opfer definiert, die später im Verteilplan des Gerichts berücksichtigt wurden: die Inhaber von Bankguthaben und deren Erben, zwei Gruppen von Zwangsarbeitern, abgewiesene Flüchtlinge sowie eine breit definierte Gruppe von Opfern der NS-Raubpolitik, von der Schweizer Banken angeblich profitiert haben. Aus den Gerichtsakten geht hervor, dass heute alle Klasen ausser der Klasse der Bankguthaben abgeschlossen sind.

Unhaltbare Vorwürfe
Doch von den für Bankguthaben vorgesehenen 800 Mio .$ hätten bisher nur 574 Mio. verteilt werden können, schreibt Neuborne. Er begründet dies mit der „abscheulichen“ Vernichtung der Unterlagen in der Schweiz durch die Banken. Neuborne übergeht jedoch die Tatsache, ass die Banken gesetzlich nur verpflichtet waren, Unterlagen zehn Jahre lang aufzubewahren. Auch Korman hat die Probleme bei der Suche nach Anspruchsberechtigten für Guthaben wiederholt mit der angeblich böswilligen Zerstörung von Dokumenten begründet. Diese Vorwürfe stehen angesichts des unabhängigen Volcker-Reports über „nachrichtenlose Konten“ und der enorm aufwendigen internen Recherchen der Banken auf wackeligen Beinen. Erstaunlich sind dagegen die Verwaltungskosten für den Vergleich. Sie dürften sich auf rund 200 Mio. $ belaufen – Geld, das nicht den Holocaust-Opfern, sondern Juristen, Controllern und anderen Experten zugutegekommen ist.

Bemerkenswert an den Auszahlungen für Guthaben ist zudem, dass bloss 490 Mio. $ für ehr oder weniger eindeutig identifizierte Konten ausbezahlt wurden. Davon gingen 50Mio. erst noch an Erben der österreichisch-jüdischen Industriellenfamilie Bloch-Bauer. D Familie hatte Guthaben in der Schweiz unterhalten, diese jedoch nach dem Anschluss Österreichs unter dem Druck der Nazis selbst an deutsche Stellen ausgeliefert. Mitglieder der Bloch-Bauer-Familie haben nach 1945 teilweise jahrzehntelange Verhandlungen um Wiedergutmachung mit Deutschland und Österreich geführt. Korman begründet seine Zuschläge für die Bloch-Bauer-Erben nun mit „unzureichenden Entscheiden“ der deutschen und österreichischen Behörden. Zudem wirft er den Schweizer Banken den Bruch ihrer treuhänderischen Pflichten gegenüber der Familie vor.

Korman hat sich von Anfang an schwergetan mit der Verteilung der Gelder. Von Einsprüchen und zahllosen Begehren überschüttet, konnte er erst am 26 Juli 2001 einen Verteilplan vorstellen. Darin waren zwei Drittel der Summe für Konten reserviert. Danach hat das mit der Suche nah Anspruchsberechtigten betraute Claims Resolution Tribunal (CRT) in Zürich jedoch bei den Banken deutlich weniger „Holocaust-Guthaben“ gefunden, die US-Anwälte und der Jüdische Weltkongress vermutet hatten. Korman sah sich daher im Jahr 2004 gezwungen, den Verteilschlüssel zu überarbeiten und die Ausschüttungen an „Raubopfer“ in der ehemaligen Sowjetunion und Israel zu erhöhen.

Anfang 2006 schuf er eine neue Auszahlungs-Kategorie, die „plausible nichtdokumentierte Ansprüche“ mit jeweils 5000 $ belohnte. Rund 12 300 Personen profitierten davon. Ihnen fehlen zwar Unterlagen für ein Guthaben. Aber Korman will den Aussagen „glaubwürdiger“ Antragsteller Glauben schenken, die ein Schweizer Konto wahrscheinlich machen. Dass Korman das „abscheuliche Verhalten“ der Banken selbst dann zur Rechtfertigung schwer nachvollziehbarer Auszahlungen macht, wenn Konten ausreichend dokumentiert sind, zeigt ein Entscheid des Gerichts vom März diesen Jahres. Dabei ging es um Konten der jüdisch-tschechischen Industriellendynastie Thorsch. Das CRT hat in mühsamer Kleinarbeit insgesamt 29 Guthaben der Thorschs identifiziert, aber bei 27 davon eindeutig festgestellt, dass diese von den Besitzern regulär geschlossen worden waren.

Wer heftig klagte, wurde belohnt
Die Anwälte der Nachkommen haben daraufhin Berufung eingelegt und eine Entschädigung von 25 Mio. $ für die zwei verbliebenen Aktienguthaben gefordert. Doch das CRT stellte nach aufwendigen Recherchen fest, auch diese seien an „die rechtmässigen Besitzer ausbezahlt worden“. Aber weil die Argumente für eine Auszahlung „nicht frivol“ seien und die Anwälte „ihre Argumente weiterhin mit Nachdruck vorbrachten“, hielt es Korman im Interesse einer raschen Bendung des Verfahrens für sinnvoll, den Thorsch-Erben „15 Cent pro Dollar“ für ihre Ansprüche auszubezahlen. So erhielten diese einen Zuschlag von $ 3 57 657.19.
Andreas Mink in der NZZaS vom 30. Mai 2010, Seite 31.




Auszahlungen gesamt

Total bis heute: Insgesamt wurden 1086 Mio. $ an 451 770 Personen verteilt. Unter diesen ergaben sich nach „Klassen“ von Anspruchsberechtigten folgende Zahlen:
  • Bankguthaben: 2902 Auszahlungen für 4601 dokumentierte Konten im Gesamtwert von 490 Mio. $, ausserdem ungefähr 12 300 Auszahlungen von insgesamt 61 Mio. $ für „plausible nichtdokumentierte Ansprüche“.
  • Zwangsarbeit I: 287 Mio. $ an 198 000 Holocaust-Überlebende oder deren Erben.
  • Zwangsarbeit II: 826 000 $ an 570 Holocaust-Überlebende oder deren Erben.
  • Flüchtlinge: 11.6 Mio. $ an 4100 Holocaust-Überlebende oder deren Erben.
  • Raub-Opfer: 205 Mio. $ an 231 000 bedürftige Holocaust-Überlebende weltweit.

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