Dienstag, 7. September 2010

Perspektiven im Fall Kachelmann

"Das Opfer"
Simone W. wird erzählen, er habe am 8. Februar gegen 23 Uhr bei ihr geklingelt. Sie hätten gegessen, Penne Bolognese. Dann habe sie ihn mit einem Flugticket konfrontiert, auf dem der Name einer anderen Frau gestanden habe. Er habe zugegeben: Er kenne diese Frau, sei mit ihr zusammen. Sie sei nicht die einzige Nebenfrau. Er habe ein grosses psychisches Problem. Bleibt Simone W. bei ihrer aktenkundigen Aussage, wird sie berichten, dass sie ihn gebeten habe zu gehen. Er aber habe in der Küche ein Messer geholt. Sie an den Haaren gepackt. Ihr das Messer an den Hals gedrückt. Sie aufs Bett geworfen. Sie vergewaltigt. Sie sei sicher gewesen, sie müsse sterben.

Kachelmann
Kachelmanns Version besagt, sie habe ihn im Bett erwartet. Es sei zum einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gekommen. Dann habe sie ihn mit dem Flugticket konfrontiert. Er habe diese Nebenbeziehung eingeräumt. Sie habe Schluss gemacht. Man habe sich «emotional» voneinander verabschiedet.

«Ich war und bin ein so gesetzestreues Weichei», darf Kachelmann im Magazin «Spiegel» sagen und einräumen: «Diese Beziehung lief länger, als ich es hätte zulassen sollen. (. . .) Die Tragik dieser Frau ist, dass ihr Leben durch den unberechtigten Vergewaltigungsvorwurf eine solche Wende genommen hat.» Hinter jedem Satz schwingt Kachelmanns Mantra mit: Ich bin unschuldig. Das angebliche Opfer bleibt derweil stumm und unsichtbar.


Die Psychologieprofessorin
Luise Greuel wird aussagen, dass die Schilderungen des angeblichen Opfers unter «so starken Defiziten litten, dass sie nicht einmal die Mindestanforderungen an die logische Konsistenz, Detaillierung und Konstanz erfüllten».
Christine Brand in der NZZaS vom 5.9.10, Seite 24f.

Der Strafrechtsprofessor zum Verhalten der Staatsanwaltschaft (15 minutes of fame)
Alle, die in der Justiz mitwirken, haben das Bedürfnis, sich einmal mit einem wirklich grossen Fall zu beschäftigen. Der Effekt, dass Juristen mit einem wichtigen Fall ihr Selbstwertgefühl aufbessern wollen, ist eindeutig vorhanden. Daher besteht die Gefahr, dass gerade ein junger Staatsanwalt den Prominenten mit allen Mitteln zur Strecke bringen will. Und dass er dabei gewisse Dinge zu wenig kritisch prüft.

Mich irritierte bei diesem Verfahren, dass die Ausgangslage mit wenig kritischem Verstand gewürdigt wurde. So hätte etwa der Umstand, dass bei der Klägerin ein starkes Rachemotiv vorhanden sein könnte, stärker beachtet werden müssen. Auch die lange Untersuchungshaft halte ich für ungerechtfertigt. Das Argument «Fluchtgefahr» ist nicht nachvollziehbar: Ein Schweizer, der so viel international reist, kann sich einem Verfahren in Deutschland kaum entziehen. Als krass beurteile ich auch, wie Kachelmann in Handschellen vor laufenden Kameras vorgeführt wurde: Dieses Vorgehen ist eine gute Voraussetzung, um später einen Schuldspruch zu erwirken. Dieses Vorführen hat klar einen vorverurteilenden Charakter.
Martin Killias im Interview von Christine Brand in der NZZaS vom 5.9.10, Seite 24f.

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