Mittwoch, 26. Mai 2010

Alternativen zum EU-Vollbeitritt

aktuell:
Isolationisten, die sich die Schweiz in einer Reinkultur vorstellen, wie es sie nie gegeben hat.
vs.
die Bundesverwaltung und der ihr hörige regierungsnahe Medienkomplex, welche häppchenweise an der EU-Beitrittsfähigkeit unseres Landes arbeiten.

Der Bilateralismus ist zeitlich begrenzt und endet, ob man es will oder nicht, in Brüssel. Der konditionslose Beitritt ist aber schwer vorstellbar, weil unser Land viel zu demokratisch strukturiert ist und auch so denkt und funktioniert, währenddem genau in diesem Punkt die entscheidende und kaum heilbare Schwäche der EU liegt.
a) Alpenrepubik mit Sonderstatus, gewollt und beiderseits abgestützt
Ausgehend von der Überlegung, dass unser Land de facto zu einer Stadtrepublik mit großzügigen landschaftlichen Unterbrüchen zwischen den einzelnen Quartieren und einem fantastischen Erholungsgebiet in den Alpen zusammengewachsen ist, konnte man sich einen City-State im Kern des europäischen Kontinents vorstellen. Es müsste eine Plattform sein, die bei Weitem globalisierter, also offener, freiheitlicher, attraktiver wäre und bleiben müsste als das europäische Umfeld:
  • eine gezielte Immigrationspolitik für hoch qualifizierte Menschen auch außereuropäischer Herkunft.
  • verlässlicher Rechtsstaat
  • eine schlanke Regulierung,
  • die strikte Beachtung des Eigentumsschutzes
  • ein ökonomisch einwandfreies Aktienrecht, namentlich in Bezug auf die Übernahme von Unternehmungen, würden den Finanzplatz stärken und unser Land als Corporate Center of Europe noch attraktiver machen.
  • Pflege der Landschaft und ihre Schönheiten ausgerichtete Umweltpolitik --> Schweiz zum Stadtstaat mit den schönsten Parkanlagen der Welt
  • Befreiung des Arbeitsmarkts von impliziten Minimallohnfixierungen
Problem: ohne gehörigen »Tribut ans Reich« würde die EU einen solchen Stadtstaat kaum tolerieren, denn er wäre ja ein dauernder Pfahl im Fleisch der Union.



b) Schweiz als Kern einer Alternative zur EU
Efta und EWR: alte, immer noch belegte Gefässe, also müsste man etwas Neues schaffen.
Beschränkung auf rein wirtschaftliche Themen wie Freihandel, freien Kapitalverkehr und kraftvoll vertretene wirtschaftliche Aussenbeziehungen sowie ein klares Bekenntnis zur Rechtssicherheit. Mit dieser Beschränkung könnte auch kein Demokratiedefizit entstehen wie in der technokratisch-konstruktivistischen Union.

Hirngespinst? Vielleicht, vielleicht aber gerade auch nicht. Denn wenn ich die Zeichen richtig deute, wird die EU infolge zu hoher fiskalischer Sorglosigkeit während der guten Jahre und schrankenloser Großzügigkeit in der Finanz- und Wirtschaftskrise in den kommenden Jahren fatalen Spannungen ausgesetzt sein, welche die Kohärenz gefährden werden. Wirtschaftlich höher entwickelten Regionen könnte in dieser absehbaren Phase der unvermeidlichen Konfrontation mit den europäischen Habe- und Taugenichtsen der Geduldsfaden reißen.

Wenn man sich so ein Szenario auch nicht wünschen mag, wäre es meines Erachtens falsch, wenn die schweizerische Europapolitik einseitig von der immerwährenden Kohärenz der EU ausginge. Mindestens in der Form eines ausgearbeiteten vorbehaltenen Entschlusses müsste eine Antwort auf den möglichen Zerfall der Union vorliegen. Käme hinzu, dass allein schon das Vorhandensein eines solchen Entschlusses die Asymmetrie bilateraler Verhandlungen zwischen der EU und der Schweiz entschärfen würde.

Konrad Hummler in DIE ZEIT vom 15. Januar 2009, Seite 11.

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