Donnerstag, 19. Juni 2008

Faszinosum Krieg

Warum sind Sie freiwillig in Kriegsgebiete gegangen?
Einfach so, weil ich es wollte. Man könnte, wenn man es zynisch formuliert, sagen, die Leute meiner Generation, die sich im Frieden langweilen, können als Reporter oder Mitglied einer humanitären Organisation in diese Gebiete gehen, da haben sie, ohne jemanden töten zu müssen, viel Spannung und ein paar nette Erlebnisse und tun sogar etwas Konstruktives. Vor hundert Jahren hätte ich mich vielleicht wie Ernst Jünger verhalten, der sich freiwillig zur Front meldete, um etwas Aufregung zu haben. Im Zweiten Weltkrieg ist er dann mit einem Glas Sekt auf das Dach eines Pariser Hotels gestiegen, während die Bomben fielen. Exakt das Gleiche habe ich, bevor ich Jünger gelesen habe, in Sarajevo gemacht, nur trank ich Whiskey statt Sekt und rauchte eine Zigarre. Man kann auch mit einer Frau schlafen, während die Bomben fallen.

Haben Sie das getan?
Ich spreche nicht von mir. Aber ich hatte eine bosnische Freundin, sechzehn Jahre alt, die mir eine wunderbare Geschichte erzählte. Jedes Mal, wenn ihre Familie bei Alarm in den Keller lief, ging sie mit ihrem Freund zum Ficken in eine der leeren Wohnungen. Ich halte das für eine sehr gesunde Reaktion. Man muss sich, wenn gestorben wird, jedes Vergnügen gönnen. Die Liebe ist immer nahe am Tod.

Und erst der Krieg ermöglicht...
. . . den Frieden.

Wenn man den Zynismus auf die Spitze treibt, könnte man meinen, dass wir die sechzig Jahre Frieden in Mitteleuropa Hitler verdanken.
Absolut, in gewisser Weise.

Salman Rushdie sagte, als ich ihn interviewte, wer so denke, gehöre zu den Verdammten.
Dann gehöre ich auch dazu.
Jonathan Littell, "Die Wohlgesinnten", im Interview mit André Müller in der WW25.08

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