Donnerstag, 26. Mai 2011

Frischs Selbstbestimmtheit entgegen gesellschaftlicher Korrektheit

...Biografie von Männern, die davonlaufen, die ihre Familien im Stich lassen, neue Frauen kennenlernen und ihr schlechtes Gewissen zum Gegenstand intensivster Selbst­erforschung machen. Seine Helden sind von einem «pathologischen Aufbruchstrieb» beseelt, sagt der Germanist Peter von Matt. Die Flucht vor Verbindlichkeiten und Verantwortungen, die Weigerung, sich festzulegen und festlegen zu lassen, Wurzeln zu schlagen, erwachsen zu werden, das ständige Sich-davonschleichen-Müssen ist das Anliegen seiner Hauptfiguren. Frisch war ein Chronist des seriellen Seitensprungs, «bevor dies allerdings zur neuen Spiesser-Masche wurde» (von Matt).

Man kann ihn als Erforscher der totalen Selbstverwirklichung belächeln und damit als Vorboten der zügellosen sechziger und siebziger Jahre. Das Ich als Weltmassstab, der Anspruch auf Erfüllung aller Wünsche: Das war die Begleitmusik des Wirtschaftswunders in der Nachkriegszeit, das grosse Ego-Projekt der Studentenbewegung und ihrer Mitläufer. Es endete in Rausch und Absturz, in politischen Wahnideen und Dekadenz aus dem Überfluss.

Frischs Erfolg hatte sicher auch damit zu tun, dass er dem männlichen Fluchttrieb schmeichelte, der Ur-Sehnsucht, sich aus allen Pflichten und Zwängen herauszuwinden. Frisch lieferte Aussteigerliteratur auf höchstem Niveau, die mit enormer Sprachkraft das Verhältnis des Einzelnen zu seiner Umwelt reflektierte. Peter von Matt aber spricht von der «Ich-Form als Verfahren», nicht als Kerker. Interessanterweise war Frisch kein Romantiker, der distanzlos in seinem Ego schwelgte. Seine Selbsterkundungen waren selbstkritisch, oft humorvoll, im Fall seines Schlüsselromans «Stiller» von umwerfender, absurder Komik.

Aber selbst wenn man die Bücher nicht mag und den Zeitgeist, den sie mit beflügelten: Man muss Frisch bewundern für die Präzision, mit der er – lange vor 1968 – den Konformismus und die Kleinkariertheit in der bürgerlichen Schweiz beschrieb. Seine Diagnosen sind unter veränderten politischen Vorzeichen heute so aktuell wie damals: Frisch litt an der Arroganz des Establishments, der heuchlerischen Harmonie, den unausgesprochenen Konventionen, der politischen Korrektheit, lange bevor man sie so nennen sollte. Frisch war ein vehementer Verfechter leidenschaftlicher Debatten über alles, ihn nervte die «fast krankhafte Empfindlichkeit der Schweiz». In seinem Bühnenstück «Graf Öderland» greift ein ehemaliger Staatsanwalt zur Axt und zieht sinnlos mordend durch die Welt. Frischs Kollege Dürrenmatt belächelte zwar «diese Menagerie um einen ausgestopften Tiger», aber die Figur des Grafen macht die Platzangst fühlbar, die nachvollziehbar wird, wenn man sich den Konformismus ansieht, der heute noch Debatten in der Schweiz beherrscht. Frischs Kritik zielte schon damals auf eine «Demokratie, in der die unerlässlichen Kompromisse nicht ­erkämpft, sondern voreilig vorausgesetzt ­werden» (Peter Rüedi).

geschäftstüchtiger Sänger der Selbstverwirklichung. Seine Bücher huldigen dem verantwortungslosen, auf sich selbst beschränkten Einzelnen, der sein schlechtes Gewissen durch ausgeklügelte Literatur betäubt. Als praktizierender Womanizer nahm Frisch das Programm der 68er Generation vorweg und schrieb sein aussereheliches Stakkato der Frauengeschichten zum tiefen Emanzipationserlebnis hoch.

Roger Köppel in der WeWo19.11, Seite 44ff.


Was liess Ihre Ehe scheitern?
Meine Erfahrung von Enge. Ich musste mit Anfang vierzig einen Schnitt machen und mein eigener Herr und Knecht sein. Frauen neigen dazu, unglücklich zu werden. Sobald sie sich langweilen, kommen die Vorwürfe, man habe keine Gefühle. Dann, offen gestanden, langweile ich mich noch lieber allein.

Sie wird gebraucht, unsere Schuld, sie rechtfertigt viel im Leben anderer.

Manchmal meine ich die Frauen zu verstehen, und im Anfang gefällt ihnen meine Erfindung, mein Entwurf zu ihrem Wesen. Damit gewinne ich sie überhaupt. «Nie habe ich mit einem Mann so sprechen können wie mit dir» – das habe ich mehr als ein Mal gehört bei Abschieden. Es schmeichelt ihnen, wenn sie mich unter dem Zwang sehen, sie zu erraten. Mein Entwurf hat etwas Zwingendes. Wie jedes Orakel. Ich staune dann selber, wie ihr Verhalten bestätigt, was ich geahnt habe.

Fragen und Antworten aus diversen Interviews und Romanen zusammengestellt von Sven Michaelsen in der WeWo19.11, Seite 45.

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